Ohne Titel (01/06)
Installation, 2006.
Neon, Plexiglas, Lautsprecher, Elektronik.
Neon: 270 x 65 x 10 cm (HxBxT)
Lautsprecher: größe variabel.
Ausstellungsansichten / exhibition views
Wallraf Richartz Museum, Köln 2006.
Audio Auschnitt
Dem heutigen Museum haftet oft der Vorwurf des Elitären an. Der Alleinvertretungsanspruch auf das Erhabene und die Wahrheit ist besonders in den Institutionen spürbar, die auf alte Meister und die Klassik spezialisiert sind. Natürlich ist die Notwendigkeit dieser Orte unbestritten, ebenso ihre kulturelle und geschichtliche Funktion. Das Keinstar-Konzept unterstützt ausdrücklich das kuratorische Prinzip der Komposition zeitgenössischer Kunst mit Alten Meistern.
Unendlichkeitsmodelle und Paradoxien sind der Kunst immanent. Das Schöpfungsparadigma (Darstellung der Endlosigkeit) ist in allen künstlerischen Bereichen gegenwärtig (Escher, Ligeti, On Kawara, Lee Byars). Die abendländische Kunst ist zugleich die Geschichte religiöser Darstellungen, wie auch der Abbildung des Schöpfers: Jesus, als christlich-mythologische Figur und symbolische Erlösung.
Im großen Saal der Barockabteilung des Wallraf-Richartz-Museum befindet sich an der Wand ein weißer, leuchtender Neon-Schriftzug in zwei Zeilen: ANYTHING JESUS DOES / I CAN DO BETTER. Gegenüber hängt von der Decke ein speziell gebauter, schwarzer, quadratischer Lautsprecher und verbreitet im Raum einen gleichmäßigen Klang. Der Klang ist Folge des mathematischen Tonhöhen-Paradoxon von Shepard, bei dem eine Skala unaufhörlich aufzusteigen scheint. Das Phänomen basiert auf der Tatsache, dass „Tonhöhe“ keine rein physikalisch messbare Größe ist und unsere auditorische Wahrnehmung faktisch absolute Grenzen aufweist (im Gegensatz zu vielen Tierarten können wir sowohl kein Ultra-, wie Infraschall hören). Ein permanentes Glissando deren erstes und letztes Glied identisch sind, erscheint uns zwar widersinnig, ist aber unter streng konzeptionell-technischen Überlegungen durchführbar. Die so konstruierten zyklischen Klangfolgen, in der die Tonhöhe in einer Helix angeordnet ist, machen die Idee der Unendlichkeit erfassbar. Das naive, lineare Verständnis von Tonhöhe oder Tempo wird ad absurdum geführt. Die Idee von Anfang und Ende wird verworfen und durch eine zyklische Illusion, man könnte sagen, durch eine rotierende Halluzination, ersetzt.
Zusammen mit dem Text an der Wand befinden sich im Raum zwei Entropie-Modelle, die nach Clausius (deutscher Physiker 1822-88) den Gesetzen eines Kreisprozesses unterliegen (zyklische Maschinen), bei dem jedes System über mehrere Zwischenschritte entlang eines Reaktionspfades wieder in seinen Anfangszustand zurückkehrt. Dabei tauscht das System mit seiner Umwelt Energie aus. Die Entropie ist in diesem Modell ein Maß für maximale Unwissenheit und fehlende Information in Bezug auf die Informationstheorie (nach Shannon), womit der Besucher stets konfrontiert wird (absurder Dauerton und Satzinhalt). Wir wissen nicht genau was Jesus tut, also wissen wir auch nicht explizit was wir besser machen könnten (der „reine Wille“ reicht, um das Konzept weiter zu skalieren – siehe Nietzsche: „Wille zur Macht“). Umgekehrt natürlich erwarten wir von dem Unendlichen, sowohl in Form als auch in Transzendenz absolute Erhabenheit im Handeln (was uns der Shepardton / „Loop“ suggeriert – „Ich bin der Anfang und das Ende“, Die Offenbarung des Johannes 22, 13). Dieser kleine semantische Trick weckt eine naturgemäße Skepsis gegenüber der Idee des Göttlichen, der Geburt in unserer Raum-Zeit bis zur Auferstehung (also auch gegenüber der Shepardskala), gleichsam gegen jegliche Form der Darstellung. Die Installation demontiert den Künstlermythos durch übertriebene Glorifizierung. Überdies bedient sich der Neon-Satz der weit verbreiteten Annahme, dass alte Kunst den wahren Genius fassbar macht („Kunst kommt von Können“ – besonders in der Beherrschung der Technik wie der überzeitlichen Gültigkeit). Zeitgenössische Kunst hingegen sei nur ein Produkt moderner Eitelkeiten, Degeneration und bloßer Scharlatanerie, zu der die meisten leider keinen Zugang finden. Mit Jesus Hilfe ist es erreichbar und sogar besser!
Die Arbeit versteht sich als Erweiterung des radikalen Konstruktivismus, der eine skeptizistische erkenntnistheoretische Position ist. Sie vertritt die Auffassung, dass der Mensch als bewusst wahrnehmendes Wesen die Wirklichkeit „erfindet“ und nicht – wie nach realistischer Auffassung – objektiv „entdeckt“. So ist das Kunstwerk „nur“ ein skaliertes Modell, in dem man Gott als „Konstruktion“ begreift – mit der ironisch-logischen Folge, dass doch jede Konstruktion verbessert werden kann. Diese Vorgehensweise stellt zugleich die menschliche Entität dar, dass für den Aufbau von Wissen keine Realität erkannt werden muss. Wissen ist viabel, solange es mir dient. Dabei ist völlig bedeutungslos, ob und wie das Wissen den Realitäten entspricht. Die Brisanz des Modells erkennt man eindeutig, wenn streng begrifflich der Mensch durch den Menschen-Sohn Jesus ersetzt wird. Diese Übertragung mit dem bereits genannten radikal-konstruktivistischen Satz, dass für den Aufbau von Wissen keine der Realitäten erkannt werden muss, stellt das Schaffen, wie die Person Jesus, als einzigartig dar. Es legitimiert wie negiert gleichwohl jegliche künstlerische Konzeption der Unendlichkeit, fernab von interpersonellen Wahrnehmungsdifferenzen.
Die Zeitsymmetrie zwischen beiden Objekten (Licht / Ton) befindet sich in permanenter Spiegelung und Schwingung, da beide Konstruktionen auf kausale Rotation (Kreisprozesse) zurückgreifen, deren Kerne jedoch Illusionen sind. Die Darstellung des Unendlichen mit den (endlichen) Mitteln ihrer Verneinung (ohne Antonym zu sein), bewusst der komplexen Paradoxie und gleichsam ihrer Negation, ist die zentrale Position des Kunstwerkes. So auch die Unbedeutsamkeit dieses Textes, denn „Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.“ (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus 4.1212)
Christian Keinstar
© 2006 photos by Ch. Keinstar, H. Diekmeier