Schlangentisch (Snake Table)
Skulptur, 2011.
Stahl, Leder.
Steel, leather.
87 cm, Ø 178 cm.
Ausstellungsansichten / exhibition views
Kunsthalle Wilhelmshaven 2011
Auszug aus dem Katalogtext „Christian Keinstar – The Left Hand Path“, Kunsthalle Wilhelmshaven von
Dr. Stephan Berg (Intendant Kunstmuseum Bonn)
Noch etwas kühler und tückisch designhaft zeigt sich der „Schlangentisch“, dessen Titel insofern durchaus wörtlich genommen werden kann, als Keinstar bei seiner Konstruktion vom bekannten Bild der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ausgegangen ist. Damit zitiert der Künstler einen zentralen ägyptischen Schöpfungsmythos, den Ouroboros. Die sich selbst in den Schwanz beißende Schlange ist laut diesem Mythos der Weltumringler, der in sich sowohl das Potenzial zur Zerstörung wie zur Erneuerung enthält. Die Schlange, die sich selbst frisst, ist einerseits für ihren eigenen Untergang verantwortlich, und hält doch andererseits auch das Chaos und die Zerstörung fern, indem sie sich in sich selbst schließt. So produziert sie in ihrer Zirkularität zugleich die Kraft der Erneuerung. Der Schlangentisch präsentiert sich als auf fünf abgeknickten Beinen stehender Doppelring mit kreisförmiger Rinne. In diese Vertiefung, so Keinstar, ließe sich eine fünf Meter lange Schlange so hineinbetten, dass sie sich – so zusagen als irritierender Material Loop – in den Schwanz beißen muss, um den Kreis zu vollenden. Fixiert, und damit in Form gehalten, würde sie durch sechs selbstgemachte und mit diversen Benutzungsspuren versehene Ledergurte, die der Kühle des Stahlobjekts einen Anflug organischer, lebendiger Wärme entgegenstellen, und über die Lederhaut zugleich eine assoziative Brücke zur imaginierten Schlangenhaut schaffen. Zudem erinnern Gurte und Objekt aber auch auf eine unbehagliche Weise an S/M- und Bondage-Praktiken.
Was uns Keinstar mit dem Schlangentisch vorführt, ist, wenn man so will, ein Apparat, der den Körper seiner Logik und Mechanik unterwirft – darin, wie auch in seiner libidinösen Aufladung nicht unähnlich dem Folterapparat aus Franz Kafkas In der Strafkolonie (1919). Alles zusammen zielt auf eine kalkuliert paradoxe Inszenierung von Körperlichkeit zwischen Schmerz, (Selbst-)Zerstörung und einer Sehnsucht nach Vollständigkeit, die ähnlich wie in The Gate gerade durch die reale Aussparung des Körpers seine imaginative Wucht erhält. Und dabei das Moment des Schmerzes und der Zerstörung nicht als Ziel, sondern als Zwischenstadium auf dem Weg zu einer anderen Form der Materialisierung, einem anderen Energiezustand begreift. Insofern geht es in allen Arbeiten Keinstars nicht um die Destruktion des Körperlichen, sondern um seine Verwandlung.
Dr. Stephan Berg
© 2011 photos by Ch. Keinstar, Ch. Geissel